Die aktuelle Debatte über die Berliner Straße zeigt eindrücklich, warum es mit der Verkehrswende in Esslingen nicht vorangeht
Seit Eröffnung des REWE-Markts im neuen Qbus-Gebäude überqueren dort vermehrt Zufußgehende die Berliner Straße, vor allem auf Höhe des Westzugangs zum Einkaufszentrum »Das ES«. Dies ist erlaubt und sogar erwünscht. Denn die Stadt hat entlang des Qbus einen Millionenbetrag investiert1, um durch Wegnahme einer Fahrspur Platz für Grünflächen und breitere Gehwege zu schaffen. Damit soll auch das Queren der Fahrbahn erleichtert und die Trennwirkung der Straße abgeschwächt werden, um den neuen Gebäudekomplex besser an die Innenstadt anzubinden. Ein Gehwegvorbau ermöglicht Zufußgehenden eine gute Sicht, verkürzt den Weg über die Straße und signalisiert: Hier könnt ihr rüber.
Fußverkehr als Störfaktor
Doch noch bevor die Bauarbeiten beendet waren, setzte eine hitzige Diskussion über die Situation in der Berliner Straße ein. Die Eßlinger Zeitung behauptete, Passant:innen würden »wild« die Fahrbahn überqueren, statt die umliegenden Ampeln zu benutzen, und sich nicht an Verkehrsregeln halten. Aufgeregt wurden Pressemitteilungen verfasst und im Mobilitätsausschuss des Gemeinderats forderte man die Lösung des »Fußgängerproblems«. Offenbar wird Fußverkehr vor allem als Störfaktor betrachtet, der allenfalls nach Voranmeldung über die Fahrbahn darf und sonst möglichst unsichtbar zu sein hat.
Mehr Miteinander
Wer die Lage einmal nicht durch die Windschutzscheibe eines Pkw betrachtet, erkennt jedoch schnell, dass es am Qbus kein Fußgänger-, sondern ein Autoproblem gibt: zu laut, zu dreckig und vor allem zu viele. Deshalb hat FUSS schon 2022 vorgeschlagen, die Berliner Straße zwischen Qbus und ES als verkehrsberuhigten Geschäftsbereich auszuweisen und die Höchstgeschwindigkeit auf 20 km/h zu reduzieren. Dies würde das Queren erleichtern und den Verkehrsfluss verbessern. Davon könnten auch der Bus- und Pkw-Verkehr profitieren. Die Verkehrsplaner:innen der Stadt haben sicher weitere Ideen, wie sich das Miteinander der Mobilitätsarten hier noch optimieren ließe.
Stadt knickt ein
Doch die Stadtverwaltung, die zunächst keinen Handlungsbedarf sah, ist schnell und kampflos vor der Autolobby eingeknickt und will nun vor dem Qbus eine weitere Ampel aufstellen – damit Zufußgehende die Bettelnden bleiben, zu denen sie in der autogerechten Stadt gemacht wurden. Damit stellt die Verwaltung nicht nur ihre Millioneninvestition vor dem Qbus und die mit ihr verbundenen städtebaulichen Ziele infrage. Die neue Ampel wird auch das Autochaos in der Berliner Straße noch vergrößern statt abmildern. Und die Moral von der Geschichte? Die Esslinger Verkehrspolitik steckt immer noch irgendwo in den autoseligen 1970er-Jahren fest.
- Pläne und Ratsvorlagen: https://ris.esslingen.de/vorgang/?__=UGhVM0hpd2NXNFdFcExjZTuy1szgLpdR1jHefOUED1s ↩︎